Die 'Kulttischchen' von Kirklareli-Asagi Pinar - Untersuchung einer keramischen Sonderform des Neolithikums Türkisch-Thrakiens und ihrer
Beziehungen zu Südosteuropa und Anatolien.

Zusammenfassung

Seit 1993 erforscht das Deutsche Archäologische Institut (Berlin) gemeinsam mit dem Archäologischen Institut der Universität Istanbul den neolithischen und kupferzeitlichen Fundplatz Kirklareli-Asagi Pinar im türkischen Teil Thrakiens, nahe der bulgarischen Grenze. Die Siedlungsreste geben Aufschluß über die Entwicklung früher landwirtschaftlicher Kulturen in einem Zeitraum von ca. 5600-4800 v. Chr.

Zu den Fundobjekten zählen auch Reste sogenannter 'Kulttischchen’, drei- oder vierfüßiger Gefäße von ca. 15 cm Höhe und einer Mulde in der Tischplatte, für die ein ritueller Charakter, etwa als Miniatur-Altar, angenommen werden kann. Sie wurden während der gesamten Nutzungsdauer der Siedlung verwendet. Diese keramische Sonderform konnte nun erstmals umfassend und überregional bearbeitet werden.

In einem ersten Schritt erfolgte die genaue Definition und Typengliederung der 'Kulttischchen' sowie die Richtigstellung formaler Ungenauigkeiten bzw. die Diskussion früherer Studien. So wurden nun tönerne Hausmodelle und Miniaturmöbel sowie Objekte mit durchgehenden Öffnungen in der Tischplatte funktionell ausgegliedert, da sie keine Flüssigkeiten oder Gegenstände aufnehmen konnten und daher anderen Zwecken dienten. 'Kulttischchen’ treten als drei- oder vierfüßiger Typ sowie als Variante mit schalenförmigem Aufsatz auf.

Ein zweiter Schwerpunkt diente der Untersuchung der 300 'Kulttischchen’ bzw. ihrer Fragmente aus Kirklareli. Diese bislang größte Kollektion derartiger Objekte wurde zeichnerisch (Tafelteil) und deskriptiv (Katalog) erfaßt und anhand formaler sowie funktionaler Gesichtspunkte diskutiert. Weiterhin wurde die Fundsituation einbezogen. So zeigte sich die Verbreitung in engem Zusammenhang mit den Hausstellen der Siedlung. Eine Nutzung in Tempeln oder ähnlichen hervorgehobenen Gebäuden kann somit ausgeschlossen werden; eine Verwendung im häuslichen Kult ist dagegen sehr wahrscheinlich. Zwar lassen sich im Laufe ihrer mehrhundertjährigen Verwendung einige modische Veränderungen beobachten, doch erfolgte die Gestaltung der 'Kulttischchen’ – im Gegensatz zur profanen Keramik – eher konservativ.

Im dritten Abschnitt erfolgte ein überregionaler Vergleich in chronologischen Schritten. Hierzu erfolgten umfassende Literaturstudien und Verbreitungskartierungen. Außerdem wurde ein Katalog erstellt. Die Zusammenstellungen zweier früherer Studien, die nur jeweils ca. 300 Stücke umfaßten, konnten dabei auf fast 1.800 Objekte erweitert werden. Diese stammen aus Westanatolien sowie von der Balkan-Halbinsel bis hin ins ungarische Theiß-Gebiet. Auf den griechischen Inseln und an der Adria-Küste sind sie dagegen unbekannt.

Überraschend deutlich zeigte sich, daß die Nutzung von 'Kulttischchen’ um 6000 v. Chr. westlich des Taurus-Gebirges in Anatolien begann, sich dann mit leichter zeitlicher Verzögerung nach Südosteuropa ausbreitete, um erst dort zu voller Blüte zu gelangen. Die Altärchen zählen somit zu den typischen Objekten, die mit den frühesten Ausprägungen der Jungsteinzeit aus Kleinasien nach Südosteuropa gelangten. Ein regional unterschiedliches Auftreten der drei o. g. Varianten in den frühesten Perioden widerlegt eine funktionelle Ursache und läßt an eine unterschiedliche Herkunft innerhalb Anatoliens denken, von wo aus sie bis ca. 5500 v. Chr. über drei 'Traditionsströme’ nach Südosteuropa gelangten. So lassen sich anhand von Form und Verzierung Beziehungen zwischen dem Marmara-Raum und Thrakien bis nach Oltenien, zwischen dem südlichen bzw. südwestlichen Hochplateau Inneranatoliens und dem Zentralbalkan sowie zwischen der türkischen Mittelmeerküste und den griechischen Inseln und Südgriechenland aufstellen. Im rumänisch/ungarischen Donauraum, im Theiß-Gebiet, Slawonien und der Backa sowie in Pelagonien scheint es unter dem Einfluß der 'Kulttischchen’ aus dem Zentralbalkan zu lokalen Eigenentwicklungen gekommen zu sein. Aus Anatolien sind dagegen seit ca. 5500 v. Chr. keine derartigen Stücke mehr bekannt. Im Laufe der Jahrhunderte verwaschen diese klaren Grenzen, bis ihre Nutzung im Verlauf der tiefgreifenden kupferzeitlichen Veränderungen aus dem Balkan verdrängt wird und um 4000 v. Chr. in Ostbulgarien ausklingt.

Heiner Schwarzberg