GENERATIONSKONFLIKT + AHNENVEREHRUNG:
Fortes zeigt an anderer Stelle ein für die Tallensi kennzeichnendes Paradox auf.
Demnach hat die strukturell bedingte Einheit aufeinanderfolgender Generationen
nicht nur gegenseitiges Vertrauen und Zuneigung sowie gemeinsames politisches
Interesse zur Folge, sondern mündet gleichermaßen in Haltungen von Widerstand
und Rivalität. Entscheidend ist hierbei, daß diese Feindschaft in der Beziehung
zwischen Vater und erstgeborenem Sohn gipfelt und kulturell anerkannt wird, denn
ihr wird durch rituell sanktionierte Meidungsregeln Ausdruck verliehen. Fortes
glaubt, daß die Tatsache, daß das erstgeborene Kind eine Person unwiderruflich
zu Vater bzw. Mutter macht, nicht nur Glücksgefühle wecken würde sondern gleichermaßen
ein traumatisches Erlebnis sei. Dies kann in der Folge zu ambivalenten Impulsen
führen, die das Leben des Kindes gefährden würden, wenn man sie nicht durch die
angesprochenen Maßnahmen unter Kontrolle hielte. Den Grund für den traumatischen
Aspekt der Erstgeburt sieht Fortes in der wachsenden Bedrohung durch den unvermeidlichen
Tod und die letztendliche Übernahme der eigenen Position durch die Kinder, d.
h. in den ödipalen Konflikten, die erstmals von Freud erkannt wurden. Er weist
außerdem darauf hin, daß die Erben nach dem letztendlichen Tod der Eltern sowohl
befähigt als auch verpflichtet seien, letztere in den Ahnenstatus zu erheben und
in angemessener Weise zu verehren. Der springende Punkt dieser Maßnahme ist quasi
die Konservierung der elterlichen Autorität, deren fortwährende Anerkennung die
mutmaßliche Schuld der Nachkommen an der Verdrängung der Eltern aus ihrer angestammten
Position annulliert. Der moralische Aspekt ist dabei hervorzuheben. Fortes ist
überzeugt, daß diese in verwandtschaftliche Zusammenhänge eingebettete Ideenkonfiguration
den Kern eines jeden Ahnenkults darstellt und zieht daraus die Schlußfolgerung,
daß es bei einem Volk wie den Tallensi unmöglich sei, den Ahnenkult zu begreifen
ohne sich zuvor ein tiefes Verständnis von den Abstammung und Verwandtschaft betreffenden
Institutionen angeeignet zu haben. Weiterhin argumentiert er, daß man zur korrekten
Deutung dieser Zusammenhänge über die Untersuchung offensichtlicher Normen und
Beziehungsmuster hinausgehen und dem psychologischen Aspekt der Eltern-Kind-Bezie-hung
entsprechend große Aufmerksamkeit widmen müsse. Er fügt hinzu, daß seiner Meinung
nach die Beweislast groß genug sei, ,,that behind the oedipal struggle between
successive generations lies the challenge of where rights of engendering and disposing
over the unique and irreducible source of all social existence, the mother and
child couple, ultimately lie..." (Fortes 1978: 21).